Netzkunst als Kunstnetz

by Dr. Hans-Georg Türstig
www.digital-artwork.net

 In der indischen Mythologie gibt es das Netz Indras, des Königs der Götter. Dieses Netz erstreckt sich endlos in alle Richtungen und stellt die Art dar, in der alles existiert. Nur Symbol oder doch Wirklichkeit – wer weiß? In jedem Knoten dieses Netzes befindet sich ein funkelnder Edelstein, unzählig viele also, die sich gegenseitig spiegeln, unendlich oft, und in jedem einzelnen existiert das gesamte Netz. Schon damals kein vereinzelter Gedanke, denn Varuna zum Beispiel, der altindische Gott der Wasser, existiert ebenso vollständig als Wassertropfen wie als das ganze Meer. Jeder Teil des Ganzen ist das Ganze, die Monade von Gottfried Wilhelm Leibniz, kosmische Holographie, das Internet, das Kunstnetz, eher kunstvoll als künstlich.

Das Kunstnetz existiert und verknüpft unterschiedliche Inhalte, die sich grenzenlos überlagern, schöpferisch ergänzen und frei entfalten. Alles ist miteinander verbunden, aufeinander bezogen, voneinander abhängig, interconnected. Technologisch erschaffen bildet das Internet eine Cyberwelt, die sich in die gewohnte Umgangs-Welt einpaßt, ihr gleicht und damit unser Verständnis vom Dasein und unseren Umgang mit der Wirklichkeit wesentlich beeinflusst.

Die Netzkunst webt sich als Kunstnetz in das weltweite Netz ein, verknüpft schöpferische Energien zu einem kreativen Strom, der alle Länder und Städte durchfließt und alle Grenzen, Sprachen und Kulturen transzendiert. Jeder schöpferische Impuls schwingt im gesamten Netz, beeinflusst das Ganze und vereint Menschen, wie zum Beispiel beim Rohrzangenprojekt von Kytom L., einem „Experiment zum kollektiv-virtuellen Kunstschaffen“, das später noch eingehender behandelt wird. Gemeinsam erlebte und manifestierte Kreativität in einer digitalen Wirklichkeit, die als Bildschirmbild oder Druck in den Alltag einbricht. Die „nur“ virtuelle Realität einer digitalen Datei manifestiert sich in der „anfaßbaren“ Wirklichkeit, endlos reproduzierbar, jedes Kunstwerk ein Edelstein, in dessen Facetten es sich selbst und alles andere spiegelt und widerspiegelt. Die Netzkunst sendet schöpferische Impulse und empfängt sie zugleich, erschafft das Kunstnetz immer wieder neu. Die Netzkunst lebt im und als Kunstnetz.

Netzkunst umfasst digitale und digitalisierte Kunstwerke. Letztere sind ins Netz gestellte – gescannte - Abbilder eines Originals. Digitale Kunst dagegen hat kein Original außerhalb der Cyberwelt und ist damit Netzkunst im engeren Sinne. Hier wiederum kann man unterscheiden zwischen Kunst, die ohne reale Elemente nur am Computer erschaffen wird und solcher, die auf reale Elemente zurückgreift wie Photos oder gescanntes Material. Dazu zählen auch digitale Abbilder von Originalen, die am Computer weiter bearbeitet werden.

Netzkunst bedient sich moderner Technologie - computer und software. Wie diese Mittel eingesetzt werden, hängt natürlich ganz von den Kenntnissen und schöpferischen Fähigkeiten der Künstler ab. In diesem Sinne unterscheidet sich dieses neue Medium nicht von den herkömmlichen. Die Werke können auch ausgedruckt werden, aus der Cyberwelt in die alltägliche Realität gezerrt und so im traditionellen Kunstrahmen bleiben. Spannend wird es, wenn sich Netzkunst zusätzlich oder ausschließlich auf zweierlei Art zum Kunstnetz verknüpft.

Einmal bilden die einzelnen KünstlerInnen auf diese Weise ein Kollektiv, das Menschen über alle Grenzen, Sprachen und Kulturen hinaus vereint. Dieses Kunstnetz ist eher statisch, leistet aber einen wichtigen Beitrag zur Völkerverständigung und zum transkulturellen Austausch, was durchaus zur Basis eines dauerhaften Friedens auf unserem Heimatplaneten werden könnte.

Dynamisch wird das Kunstnetz, wenn KünstlerInnen gemeinsam an kollektivem Kunstschaffen teilnehmen, wie im schon erwähnten Beispiel des Rohrzangenprojektes von Kytom L. Hier wurde ein digitales Bildelement (eine Rohrzange) vorgegeben, das die einzelnen KünstlerInnen dann weiterverarbeitet bzw. verfremdet haben. Die Ergebnisse illustrieren eindrucksvoll die Möglichkeiten digitaler Bildbearbeitung. Grundsätzlich kann man drei kreative Eingriffe unterscheiden: Farbveränderungen, Formveränderungen und Veränderung durch zusätzliche Bildelemente einschließlich Umrahmungen. Der kreative Prozeß stützt sich hierbei auf software, deren vielfältige Möglichkeiten - vor allem bei einer Kombination unterschiedlicher software wie Photoshop, Painter, Paintshop, Picturer Publisher usw. – eine stufenlose und grenzenlose Bearbeitung eines Bildes zulassen. Außerdem haben manche Teilnehmer noch weiterführende Bildserien als kreatives Mittel angewendet, wobei das ursprüngliche Bild schrittweise verfremdet wurde und bestimmte Schritte dann als eigenständige Bilder festgehalten wurden. In gewissem  Sinne handelt es sich dabei um eine Vorstufe des  digitalen Films.

In den Ergebnissen ist die ursprüngliche Rohrzange mehr oder weniger erkennbar geblieben, in Einzelfällen allerdings ganz verschwunden: vom realistischen Abbild der Rohrzange bis zum abstrakten Kunstwerk sind viele Variationen vorhanden. Interessanterweise kommt dieselbe Variationsbreite  auch in den Titeln dieser Bilder zum Ausdruck (wobei zu vermuten ist, dass manche Titel erst im nachhinein assoziativ gegeben wurden). Manche Titel behalten die ursprüngliche „Rohrzange“ bei wie „Rohrzangenball“, „Der Alptraum der Rohrzange“, „Die Rohrzange spielt mit Bewusstsein“ und „Keine Namen, only Rohrzangen“. Andere lösen sich ein wenig von der Rohrzange: „Rankenzange“, „Zangengeburt“, „Zangenwald“, „Leuchtzange“ und „blauer Zangenblues“. Wieder andere rücken völlig von der Rohrzange ab: „Supernova“, „Alberichs Reich“, „Magischer Kreis“ und „Bild mit viel zu langen Namen“.

Die so entstandenen Kunstwerke wurden auf Kytoms Webseite veröffentlicht (http://www.creative-network-factory.de/netzkunst/kytoml/kunstnetz.html) und bilden seitdem ein Kunstnetz für sich. Es bleibt jedem einzelnen Künstler überlassen, sein Werk zusätzlich aus diesem Netz herauszuduplizieren und separat auf einer Webseite zu veröffentlichen oder als Druck in der nicht virtuellen Welt zu manifestieren. Das Projekt selber leistet in jedem Fall einen wesentlichen Beitrag zu einem kreativen und friedvollen Miteinander, ohne das die Menschheit weiter zu Feindschaft und Krieg verurteilt bleibt.

Eine andere Form dieser dynamischen kollektiven Netzkunst ist mein eigenes Saptakam-Projekt digitaler Bildfelder (digital artfields) (www.digital-artwork.net). Saptakam ist ein Sanskritwort und bedeutet “eine Gruppe von sieben.“ Eine Gruppe von sieben KünstlerInnen kreieren  ein digitales Bildfeld (digital artfield) für ein bestimmtes digitales oder digitalisiertes Bild. KünstlerIn 1 erschafft aus dem Ursprungsbild (A) zwei digitale Bilder (B und C) und schickt sie zwei weiteren KünstlerInnen (2,3) zu. Man sollte dabei möglichst KünstlerInnen aus anderen Ländern wählen. Sie erschaffen dann auf der Basis dieser Bilder jeweils wieder zwei Bilder (D,E und F,G) und schicken sie an je zwei weitere KünstlerInnen (4,5 und 6,7). (Damit ist das Saptakam jetzt vollständig.) Jeder dieser KünstlerInnen (4-7) erschafft wieder zwei weitere digitale Versionen (H-O), so daß am Schluß 14 Bilder entstanden sind. Alle KünstlerInnen zeigen das Original und alle 14 Weiterbearbeitungen, das gesamte digitale Bildfeld also,  auf ihrer Webseite mit entsprechenden Links zueinander.

Digital Artfield for image A

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1 A

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2 B

 

 

 

 

 

 

 

3 C

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

4 D

 

 

 

5 E

 

 

 

6 F

 

 

 

7 G

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

H

 

I

 

J

 

K

 

L

 

M

 

N

 

O

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nun beginnt der Prozeß des nächsten digitalen Bildfeldes, wobei KünstlerIn 2 das Original vorgibt und zwei Versionen an KünstlerIn 3 und 4 schickt und so weiter. KünstlerIn 1 tritt also an die Stelle von KünstlerIn 7. Wenn alle KünstlerInnen Nummer 1 gewesen sind, ist ein kreativer Zyklus dieses Sapatakams vollendet: 98 Bilder sind entstanden, sieben Bildfelder, insgesamt 105 Bilder – einschließlich der 7 Originale. Jedes Element des so entstehenden Bildfelder hat dabei vollkommen gleiche Daseinsberechtigung, ist gleichwertig. Es gibt kein Endprodukt, die Größe eines Bildfeldes ist aus rein praktischen Erwägungen willkürlich limitiert. Wenn das Saptakam gut funktioniert, kann man sich viele solcher kreativer Zyklen vorstellen, die zusammen ein Neztwerk digitaler Bildfelder erschaffen, das vibrierend mit kreativer Energie die Welt umspannt und KünstlerInnen aus unterschiedlichen kulturellen und religiösen Hintergründen vereint. Wanderausstellungen ausgedruckter Bildfelder können dann organisiert werden, was die Bildfelder aus der Cyberwelt in den herkömmlichen Kunstalltag bringt. Saptakams und digitale Bildfelder befreien nicht nur das Einzelbild und die einzelnen KünstlerInnen aus ihrer individuellen Isolation, sondern leisten einen Beitrag zur Verständigung und Würdigung der Menschen, durchaus ein wesentlicher Schritt hin zum Weltfrieden.

Man könnte sich auch eine zumindest theoretisch unendliche Bildbearbeitung vorstellen, bei der die Bilder linear immer weitergegeben und weiter bearbeitet werden. Eine Evolution, die aber eben nie zu einem Endprodukt führt. Gerade in diesem Bereich haben wir uns als Menschheit ja aus dem natürlichen Gesamtzusammenhang herausgenommen und uns selber zur Krone der Schöpfung erklärt. Morris Berman drückte dies in seinem Buch The Reenchantment of the World  so aus: „Modern consciousness thus regards the thinking of previous ages not simply as other legitimate forms of consciousness, but as misguided world views that we have happily outgrown.” Aber es ist gerade  “this attitude ... which is misguided.“ Es gibt eben keine Krone der Schöpfung, und ebenso gibt es bei der digitalen Bildbearbeitung nur ein willkürliches Endprodukt oder mehrere Endprodukte, deren Existenz von der Entscheidung der KünstlerInnen abhängen. Dies kann eine Einstellung der Natur gegenüber unterstützen, bei der jedes Lebewesen und jedes Daseinselement nicht nur als gleichberechtigt und gleichwertig angesehen wird, sondern als Teil der Natur die gesamte Natur erschafft und erhält. Alle Kunstwerke sind in diesem Sinne Teil eines Kunstnetzes, das sie erschaffen und erhalten. Das Ganze ist nicht mehr ganz als die Teile, die Teile sind nicht weniger ganz als das Ganze.

Wie die Zukunft der Netzkunst aussieht, kann wohl niemand absehen. Jedoch ist es wichtig, vor allem in diesem relativ frühen Stadium, die Möglichkeiten der digitalen Kunst aufzuzeigen. Mit anderen Worten, wir brauchen die Netzkunst nicht künstlich auf den herkömmlichen Kunstrahmen zu beschränken, sondern können gerade diese Beschränkungen aufheben und die Besonderheiten ohne Rücksicht auf den traditionellen Kunstmarkt ausschöpfen. Da ist zunächst das Phänomen des Originals zu nennen. Viele DigitalkünstlerInnen haben sich darauf eingelassen, ihren Bildern den Anschein eines konventionellen Originals zu geben, indem sie „limitierte Auflagen“ ihrer Bilder anbieten. In Wirklichkeit werden die Drucke jedoch nur dann nummeriert, wenn sie gedruckt werden. Ein Bild kann daher die Nummer 5 von 76 haben, aber es existieren überhaupt nur 5 Bilder. Änderungen in Technologie, Drucker, Farbe oder Papier können dabei die Bilder so weit verändern, dass man sinnvoll kaum mehr von einer „Auflage“ sprechen kann. Aber auch abgesehen davon werden vielleicht nie 76 erreicht, wer weiß? Eine andere Möglichkeit der traditionellen Vorstellung eines Originals entgegenzukommen besteht z.B. darin, eine Datei x-mal ausdrucken und dann zu vernichten. Bei größeren Mengen von Bildern wird das selbst bei einer kleinen Auflage von sagen wir 10 Bildern für die KünstlerInnen recht teuer. Warum aber sollen wir diesen Raritätskult überhaupt weiter unterstützen? Richtig ist, dass wir daran gewöhnt sind, etwas für wertvoll zu halten, wenn es selten oder einzigartig ist. Das heißt, wir sehen nicht in erster Linie die Kunst, die Schönheit, den ästhetischen Genuß usw., sondern einen Marktwert, der vor allem von der Einmaligkeit oder Seltenheit und von dem Bekanntheitsgrad der jeweiligen KünstlerInnen abhängt. Digitale Kunst hat aber die Möglichkeit, mit dieser „Tradition“ zu brechen oder zumindest Kunst nicht nur so anzubieten. Wir können dadurch Menschen zur Kunst bringen und mit unserer Kunst ansprechen, die traditionell bisher gar nicht daran dachten, Kunst zu kaufen, vor allem weil sie zu teuer ist. Kunstsammler und Investoren dagegen kann man, wenn man will, mit Unikaten zufriedenstellen. Vielleicht kann man aber gerade als NetzkünstlerIn die Menschen zurückbringen zu einer Einstellung der Kunst gegenüber, die unabhängig von einem theoretischen oder abstrakten Marktwert Menschen wieder dann zum Kauf von Kunst anregt, wenn ihnen etwas gefällt. Das wird uns allen, ob KünstlerInnen oder KunstliebhaberInnen, auch helfen, von der inzwischen global verbreiteten Einstellung der Profitmaximierung wegzukommen.

Die reine Netzkunst – Kunst, die ausschließlich im Internet existiert – hat aber noch ganz andere Dimensionen. Wie wir oben schon gesehen haben, kann die Netzkunst sehr dynamisch und lebendig sein. Der kreative Prozeß muß nicht mehr in einem Endprodukt eingefroren werden und braucht sich auch nicht auf einzelne KünstlerInnen zu beschränken. KünstlerInnen können gemeinsam fließende Kunst erschaffen, die beliebig anhaltbar wird. Sie gleicht einer endlosen Filmprojektion, bei der einzelne Bilder festgehalten und aus dem Prozeß herausgelöst werden können, ohne daß der Schöpfungsprozeß dadurch unterbrochen oder aufgehalten wird. Wie bei meinem Saptakam Projekt fallen die Grenzen zwischen den Einzelnen und der Gruppe fort: als einzelne erschaffen wir individuelle Bilder und gemeinsam erzeugen die Bilder Bildfelder. Netzkunst erzeugt ein Kunstnetz. Das wiederum kann eine Einstellung der Natur gegenüber begünstigen, die nicht nur scheinbare „End“produkte wahrnimmt (Stein, Pflanze, Tier, Mensch), sondern den natürlichen Schöpfungsprozeß. Die einzelnen Stadien der Evolution und der Weg haben dieselbe Bedeutung, dieselbe Berechtigung, wie das Ziel, wenn es ein solches denn überhaupt gibt. Ein Sandgemälde zum Beispiel hat seinen Sinn nicht so sehr im Endprodukt, als vielmehr im Schöpfungsprozeß. Weniger Gemälde also als Malerei. Deswegen wird das fertige Produkt auch sehr schnell rituell zerstört. Wichtig ist daher, dass man an dem kreativen Prozeß teilnimmt und nicht nur das kurzlebige Endprodukt bestaunt. Eine ähnliche Rückbesinnung auf Prozesse anstatt Produkte bietet auch die Netzkunst.

Weiter kann die Netzkunst, ähnlich wie das Theater, Laien die Möglichkeit geben, in künstlerische Prozesse einzugreifen, selber kreativ tätig zu werden. Die Frage, wer ist Laie und wer ist KüstlerIn, ist deshalb häufig kaum mehr zu beantworten. Funktionen von Software können schon heute Bilder selbständig verändern, so dass die Techniker und Programmierer, die die Software herstellen, (ähnlich wie z.B: die Chemiker, die Farben entwickeln) wesentlich zum schöpferischen Prozeß beitragen. Bestimmte Funktionen einer software können aber auch ganz anders verwendet werden, als es Techniker und Programmierer im Sinn hatten, so dass die Fragen, wo eigentlich der künstlerische Prozeß stattfindet und wer der Künstler oder die Künstlerin ist, letztlich schon heute oft kaum mehr zu beantworten sind. Ähnliches gilt auch in gewissem Sinne für die Musik, wenn etwa ein Synthesizer bestimmte Rhythmen und Melodiefetzen vorgibt und der Musiker „nur“ noch mehr oder weniger dazuspielt. Eigentlich kein ganz neues Phänomen, wenn man bedenkt, dass Michelangelo oder andere Freskenmaler auch nicht jedes Detail selber gemalt haben, sondern den Malereien seiner HelferInnen oft nur ihren Segen oder wenige eigene Pinselstriche gegeben hat.

Netzkunst schließlich ist vergänglich, kann relativ schnell erzeugt und zerstört werden, und hat damit Züge eines Konsumproduktes, kann also das „Publikum“ zu Kunstkonsumenten machen. Beispiel sind die auf vielen Webseiten anzutreffenden „Bilder des Monats“. Wenn dem reinen Konsum auch ein negativer Geruch von Oberflächlichkeit anhaftet und hier die Gefahr besteht, dass die Netzkunst zur Bildsucht wird, so liegt hierin aber gleichzeitig etwas Besonderes, das uns zu einer anderen Einstellung dem Leben gegenüber verhelfen kann. Das Bewahren, Konservieren, das Konservative also wird abgelöst von einer eher spielerischen Einstellung der sich ständig wandelnden Natur gegenüber. Sicher gibt es den Drang nach Dauer, den Hermann Hesse in seinem Gedicht Klage (1934) so zum Ausdruck brachte:

„Uns ist kein Sein vergönnt. Wir sind nur Strom ...
... uns treibt der Durst nach Sein. ...
Einmal zu Stein erstarren! Einmal dauern!“

Aber gerade weil dieses Dauern in der materiellen Welt unmöglich ist, kann uns der Umgang mit der wenig dauerhaften, sich potentiell zumindest ständig ändernden, fließenden Netzkunst zu einer positiven und realistischeren Einstellung den Vergänglichkeiten des Lebens gegenüber führen.

© Juli 2002, Dr. Hans-Georg Türstig.